BACH CELLO SUITES

 

„Bach ist unsterblich!“

Von Kindheit an ist Bach in meinem Leben omnipräsent. Auf der Orgelbank meiner Eltern sitzend oder unter dem (wohltemperierten!) Klavier zu Hause sog ich seine Musik auf. Keine Sprache ist mir vertrauter und dennoch schwerer zu erfassen als seine.

Die Ansprüche sind enorm. Man sagt, Bach ist Anfang und Ende, unsterblich, unbegreiflich und sogar heilig. Bis zum heutigen Tag bleiben Bachs Cellosuiten eine besonders schwere Herausforderung. Dabei gibt es keine Art und Weise, keinen Weg, der noch nicht gegangen worden wäre, um die Suiten als Ganzes zu erfassen und darzustellen. Warum also sollte ich dieser Vielfalt und Auswahl etwas hinzufügen?

Ein Mensch, der in seiner Überzeugung ruht, würde wohl antworten: weil ich es kann!

Nach vielen Jahren Arbeit gestehe ich jedoch heute ein, dass es ausgerechnet diese Überzeugung war, die zu erlangen mir am schwersten fiel. Auf dem Weg zu der hier festgehaltenen Momentaufnahme befand ich mich in einem ständigen Auf und Ab. Er führte mich zu Hochmut und Fall, Respekt, Ehrfurcht, Ärger und Freude, Resignation, auch Einklang und Erkenntnis über die eigenen Grenzen. Eine erste Einspielung habe ich dabei nach finaler Arbeit vollständig verworfen und bin ins Tonstudio zurückgekehrt, um meiner während der Arbeit gewachsenen Überzeugung gerecht zu werden und um dem modernen Ohr meine Geschichte in sechs „Farben“ zu erzählen. Nicht zuletzt musste ich aber Bach selbst, der umfassenden Vaterfigur der abendländischen Musik, gerecht werden.

Diskussionen über ungestüme Jugend und „historisch informierte“ statt historischer Aufführungspraxis sind ein ständiger Begleiter meiner Generation. Nikolaus Harnoncourt hat dafür schon vor langer Zeit Worte gefunden, in denen ich mich wiederfinden kann:
“Natürlich wollen wir die Erkenntnisse der Aufführungspraxis kennenlernen, aber wir wollen uns nicht in einen falschen Purismus flüchten, in eine falsche Objektivität, in eine falsch verstandene Werktreue. Also bitte keine Angst vor Vibrato, vor Lebendigkeit, vor Subjektivität, aber bitte viel Angst vor Kälte, Purismus, vor “Objektivität” und leerem Historismus.”

Die Anordnung der Suiten in helle und dunkle Farben ist ein Eingriff, den ich mir mit Bedacht erlaubt habe. Diese Reihenfolge macht das „Aufsteigen“ in Sekundschritten (c-Moll / d-Moll / Es-Dur) und im Quintenzirkel (C-Dur, G-Dur, D-Dur) möglich. Die Ergänzung der reduzierten Noten aus der vermeintlichen Ursprungsfassung der 5. Suite (Lautensuite in g-Moll, BWV995) ist hoffentlich nicht nur für mich eine Bereicherung.
Die Wahl des holzvertäfelten Teldex-Studios für einen transparenten und warmen Klang statt einer Kirchenakustik und der damit verbundenen Assoziationen geht einher mit meiner Anschauung, keine sakrale Musik aufzuführen. Dies macht Bach auch nahbarer.

Die Frage, warum Bachs Musik nach nun 300 Jahren immer noch solch eine Wirkung auf uns hat, ist wahrscheinlich nur mit seiner Musik selbst zu beantworten. Sie erzählt vom profanen Leben mit Licht und Schatten, seinem schöpferischen Glauben, von Angst, Zweifeln und der Kunst als Dienst. Bachs Musik ist so menschlich und dadurch immer zeitgenössisch und rein. Sprechen sollen die Suiten, singen und tanzen, jagen und besinnen – durch und durch subjektiv und charakteristisch für mich, nachdem ich nun meine Zweifel überwunden habe. Das Subjektive an dieser Einspielung ist das Resultat meiner festen Überzeugung geworden.

Isang Enders

Soundcheck

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